Alex Kirsch
Independent Scientist
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Blog

Roboter in der Pflege

17.11.2018
Schon im Vorfeld hatte ich interessierte Nachfragen zu dem Vortrag „Können Roboter Pflegepersonal ersetzen?“, den ich gestern im LebensPhasenHaus in Tübingen gehalten habe. Hier ist eine Zusammenfassung und meine Eindrücke aus der Diskussion mit dem Publikum.

Mein Ziel für diesen Vortrag war es, Leuten die normalerweise nichts mit Robotern zu tun haben, einen Einblick in den Stand der Technik zu geben, damit sie besser gerüstet sind für Diskussionen, sei es wenn es darum geht Geld zu verteilen, Lösungen für bestimmte Anwendungsfälle zu finden, oder die zukünftige Notwendigkeit von menschlichem Pflegepersonal abzuschätzen. In erster Linie habe ich verschiedene Varianten von Robotern vorgestellt mit meinen Annahmen, was davon in der Pflege relevant sein könnte.

Lastenroboter

Es gibt Roboter, die helfen können schwere Lasten zu heben, wie Riba, der Menschen vom Bett in den Rollstuhl heben kann, oder die Botengänge verrichten, wie Casero, der schmutzige Wäsche in Krankenhäusern transportiert. Solche Roboter sind für ganz spezielle Aufgaben gemacht und können zumindest in einigermaßen strukturierten Umgebungen wie Pflegeheimen oder Krankenhäusern langweilige oder körperlich anstrengede Arbeiten von Pflegepersonal übernehmen. Sie fallen damit in das klassische Muster, nach dem Roboter Arbeiten übernehmen, die „dull, dirty, dangerous“ sind. Ich zähle hierzu auch Roboter, die Hilfsaufgaben für Leute mit speziellen Bedürfnissen erledigen, wie El-E, der motorisch stark eingeschränkten Menschen Objekte bringen kann.

Roboterbegleiter

Einer der bekanntesten „Pflegeroboter“ ist Paro. Er ist quasi ein Stofftier mit Bewegung und Geräusch. Paro wird seit einigen Jahren für die Demenz-Pflege angepriesen und verkauft. Endlich gibt es eine Studie, die den Unterschied zu normaler Pflege und zum Einsatz eines normalen Stofftiers untersucht hat [1]. Das Ergebnis ist, dass Paro nur wenig mehr bringt als ein Stofftier. Und dieses ist insgesamt betrachtet ein wenig wirtschaftlicher [2]. Das heißt nicht, dass man Paro grundsätzlich nicht einsetzen sollte, es zeigt aber, dass Paro keinen ernsthaften Vorteil gegenüber anderen Behandlungsmethoden bringt. Andere Unterhaltungsroboter haben keine bestimmte Zielgruppe, wie unser Kopernikus, den wir bei Intuity als Open Source Roboter entwickelt haben. Auch wenn ich das kleine Kerlchen sehr putzig finde und hoffe, ihn irgendwann dazu zu bringen, dass er situationsbezogen erinnert und unterhält, würde ich nicht behaupten, dass er in irgendeiner Form menschlichen Kontakt ersetzen oder Pflege effizienter machen kann. Ich sehe ihn eher als eine Art besseren Fernseher.

Ein weiteres Beispiel aus dieser Kategorie hat gestern zu einiger Diskussion geführt. Der Film Ik ben Alice fasst ein niederländisches Forschungsprojekt zusammen, bei dem eine Roboterpuppe über mehrere Tage bei drei verschiedenen allein lebenden Rentnerinnen getestet wurde. Darin sieht man, wie die Puppe in natürlicher Sprache kommuniziert und situationsbezogen, sogar stimmungsbezogen, auf die Frauen eingeht. Was in dem Film nicht gesagt wird und nur einmal kurz zu sehen ist, ist dass ein Großteil dieses Verhaltens ferngesteuert oder fest gescriptet war. Eine Zuhörerin gestern kannte den Film und hatte wirklich geglaubt, dass die Puppe das alles selbst entschieden hat. Während mindestens eine andere Zuhörerin kein Problem damit hatte, dass so eine Maschine dann eben ferngesteuert ist, wurde das ganze von einem anderen schlichtweg als Fake bezeichnet. Letzterer Meinung schließe ich mich an.

Haushaltsroboter

Eine der größten Sorgen ist für viele Leute, dass sie so lang wie möglich unabhängig leben wollen. Insofern wären Roboter, die Haushaltsaufgaben erledigen und nach dem Rechten sehen können, eine echte Hilfe. Produkte, die heutzutage als Haushaltsroboter angeboten werden, können Staubsaugen bzw. den Boden wischen, Rasen mähen oder Fenster putzen. Es kann nett sein, wenn man diese Dinge nicht selbst erledigen muss, aber keine dieser Tätigkeiten allein ist ein Hindernis, dass Leute allein leben könnten. Richtig toll wären Roboter, die wie ein Butler alles erledigen, was im Haushalt anfällt, inklusive Getränkekisten schleppen und aufpassen, dass alle Aktivitäten des täglichen Lebens wie Essen, Trinken und Reinlichkeit stattfinden. Doch heutige Roboter sind noch nicht einmal annähernd dazu in der Lage. Dieses Bewerbungsvideo für einen internationalen Roboterwettbewerb zeigt recht gut, wo der Stand der Technik gerade ist. Das gezeigte Szenario ist aus technischer Sicht absolut beeindruckend, aber es besteht immer noch eine große Lücke zwischen dem, worauf die Roboterforschung stolz ist, und dem, was im täglichen Gebrauch einen Mehrwert liefert.

Auch hier waren die Reaktionen des Publikums interessant. Einige waren sichtlich erfreut, einmal einen klaren Stand präsentiert zu bekommen und zu wissen, mit welchen Techniken man in nächster Zeit rechnen sollte. Teilweise gab es Zweifel, ob das wirklich der Stand der Technik ist und ob man nicht in den USA oder in Asien weiter wäre. Es wurde auch Kritik geäußert, dass man auch mit einfacherer Technik viel erreichen könnte. Das sehe ich genauso, aber das muss ich ja nicht erzählen, denn die Existenz von Tablets, Smart Watches und Spülmaschinen ist ausreichend bekannt. Ich glaube, hinter der Frage stand eine Erwartung, dass ich als Robotikerin fertige Lösungen für die Pflege im Gepäck hätte. Mir ist bei der Diskussion erst richtig bewusst geworden, wie schwierig es ist Technik und Pflege zusammen zu bringen. Ich habe selbst mehrere Anträge für Verbundforschungsprojekte geschrieben oder Ideen dazu ausgelotet. Bei solchen Vorhaben geht es leider nicht nur das gemeinsame Ziel die Pflege zu verbessern, sondern man muss auch Notwendigkeiten wie die Publizierbarkeit von Ergebnissen in Fachjournalen aller Beteiligten berücksichtigen. Ich glaube, dass wirklich sinnvolle Lösungen nur entstehen werden, wenn man eine Mischung von Leuten und Herangehensweise wie bei Intuity hat. Dort sehen wir uns erstmal das Problem als Ganzes an, erdenken verschiedene Lösungsideen und haben die Kompetenz zu jeder Variante schnell Prototypen zu bauen, sei es für Software, Hardware oder Organisationsstrukturen.

Künftige Entwicklungen

Bisher habe ich nur über vorhandene Roboter geschrieben. Aber die Forschung macht doch so große Fortschritte, sicher sieht das in ein paar Jahren anders aus, vor allem wenn wir jetzt ordentlich in die Forschung investieren? Dieses Argument höre ich ständig, aber ich muss leider auch da die Erwartungen dämpfen. Als Beispiel sehen wir uns das vieldiskutierte Beispiel des autonomen Fahrens an. Entgegen der Meinung, die man aus der Presse gewinnen könnte, gibt es autonomes Fahren nicht erst seit 2005 und es wurde auch nicht von Google erfunden. Seit Anfang der 1980er Jahre hat die Forschungsgruppe von Ernst Dickmanns an der Universität der Bundeswehr in München an autonomen Autos geforscht. 1987 wurden dabei Testfahrten mit bis zu 96 km/h unternommen. In weiteren Projekten, in Zusammenarbeit mit deutschen Autofirmen, wurde die Technik verfeinert. 1995 fuhr man 1758 km, davon 95% autonom, mit bis zu 175 km/h auf deutschen Autobahnen. In diesem Licht erscheint der Erfolg der DARPA Grand Challenge 2005, in der autonome Autos eine 212 km lange Strecke durch die kalifornische Wüste bewältigen mussten, etwas weniger beeindruckend. Seit diesem Erfolg und Google's öffentlich zur Schau gestelltem Interesse an autonomem Fahren gibt es kaum mehr eine Uni ohne autonomes-Auto-Projekt. Man traf sich auch weiterhin zu Wettbewerben, in Europa vor allem zum European Land Robot Trial (Elrob). Der Wettbewerb in diesem Jahr konnte zumindest den anwesenden Redakteur von Heise online nicht überzeugen:

Was sich einfach anhört, ist es manchmal nicht: Das autonome Hin- und Herfahren einer Strecke brachte manche Roboter auf der Elrob an ihre Grenzen. [Heise Online, 27.09.2018]
Halten wir also fest: die Entwicklung in der Robotik ist nicht ganz so rasant wie man gern glauben würde.

Ein weiterer Aspekt ist die ethische Dimension. In jedem Forschungsantrag, der mit Robotern und Pflege zu tun hat, findet man Zusicherungen, dass es nicht darum geht den menschlichen Kontakt zu ersetzen. Man möchte aber Kosten senken. Da fragt man sich, wie das gehen soll. Pflege besteht nun mal aus der Interaktion von Menschen. Wenn man menschliche Arbeiten ersetzt, und sei es nur das Verteilen der Klopapierrollen, ersetzt man automatisch auch menschliche Interaktion [3]. Vielleicht ist ein Einsatz trotzdem gerechtfertigt, aber vergessen sollte man diesen Aspekt nicht.

Zusammengefasst sehe ich Roboter in der Pflege als Zusatz zu anderen technischen oder organisatorischen Merkmalen. Wenn man über den Einsatz von Robotern diskutiert, hält man sich besser an den aktuellen Stand der Technik anstatt Träumereien von autonomen Butlern zu verfallen. Ich hatte den Eindruck, dass der Großteil der Zuhörerschaft gestern diese Ansicht geteilt hat. Ich hoffe, ich konnte ihnen helfen den Stand der Technik besser einzuschätzen und daraus sinnvolle Verbesserungen für die Pflege zu entwickeln.

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